Okklusometrie – das Lehrbuch
Okklusometrie – das Lehrbuch
Als Kliniker trifft man bei seiner Arbeit immer wieder auf Phänomene, die das Wohlbefinden und die orale Gesundheit von Patienten stark beeinträchtigen, aber nur schwierig einer Erklärung zugeführt werden können. Darunter finden sich unklare Parodontopathien, stark abradierte Zähne oder Zahngruppen, äußerst schmerzhafte Zähne und Endopathien (Entzündungen der Zahnnerven) ohne erklärbare äußere Ursache. Weiterhin schmerzhafte Kaumuskulatur und Erkrankungen des Kiefergelenkes und Patienten, die mit ihrem Zahnersatz einfach nicht „zurechtkommen“.
Oft verbirgt sich dahinter eine fehlerhafte statische Okklusion, das heißt, wie Ober- und Unterkiefer aufeinandertreffen.
Während es für den Patienten noch relativ leicht ist, ein zu „hohes“ Zahnelement (oder eine zahnärztliche Arbeit) zu identifizieren, ist die Eigenkontrolle bei zu „tiefen“ Zähnen oder ganzen Kieferabschnitten wesentlich schwieriger oder ganz unmöglich. Auch dem Zahnarzt selbst sind bei der klinischen Überprüfung der Kontakte im Mund des Patienten mittels Folienkontrolle Grenzen gesetzt. Der Grund hierfür sind sogenannte Varianzen ( gleich Bewegungsspielräume) insbesondere bei 2 Strukturen des Kauapparates:
Das Parodont (der Zahnhalteapparat) lässt eine Auslenkung der Zahnes um ca 0,1 mm vertikal und 0,2 mm transversal zu. Und das Kiefergelenk besitzt eine Resilienz (Nachgiebigkeit der Weichgewebsanteile) von ca 0,6 – 0,8 mm.
Beim Schließen in die habituelle (gewohnte) Bisslage schließen wir alle derart, dass alle Zähne Kontakt spüren. Deshalb werden „zu hohe“ Zähne (> 0,2 mm) stärker belastet (und sinken ein) während „zu tiefe“ Zähne oder zahnärztliche Arbeiten (< 0,2 mm vor allem im hinteren Seitenzahnbereich) eine Kompression der bindegewebigen Kiefergelenksanteile verursachen können.
Auf der anderen Seite wissen wir, dass Patienten (selbst diejenigen mit CMD Symptomatik) wiederholt mit einer erstaunlichen Präzision (0,02 – 0,03 mm!, optoelektronisch verifiziert) ihre täglich gebrauchte habituelle Okklusion einnehmen können.
Deshalb übertragen wir bei der Okklusometrie die beim Patienten bestehende habituelle Okklusion aus dem Mund in einen Artikulator (Kausimulator). Auf die dabei im Einzelnen nötigen Schritte, um die dabei notwendige Präzisionskette aufrecht zu erhalten, kann dabei im Rahmen dieses Artikels nicht eingegangen werden.
Wichtig ist die Wahl des Registriermaterials, und die Tatsache, dass nicht wir als Behandler diese Position manipulieren, sondern der Patient selbst sie uns liefert. Mittels mehrerer Kriterien wird die Übereinstimmung von klinischer und Artikulatorsituation überprüft.
Gerd Christiansen – Funktionsanalytiker und Erfinder der Okklusometrie
CMD Compact KG Fortbildungsinstitut für Zahnärzte
Gipsmodelle und Artikulatoren haben keine biologischen Varianzen (siehe Bild). Deshalb ist es möglich mit einem in 5 Kompartimente geteilten (Ober)Kiefermodell die Höhe der einzelnen Kompartimente (Front/Prämolaren li und re, /Molaren li und re) mit einer digitalen Messuhr metrisch zu vermessen (siehe Bildkollage).
Dabei interessieren uns vor allem die Unterschiede zwischen dem höchsten und dem tiefsten Wert. Unterschiede von mehr als 0,3 mm können für die am Beginn des Artikels genannten Symptome oder Beschwerden verantwortlich sein.Wir können das Verfahren der Okklusometrie also einsetzen, um unnötige endodontische Behandlungen zu vermeiden, unklare entzündungsfreie Parodontopathien zu erklären, die Funktionstüchtigkeit von eingegliedertem Zahnersatz überprüfen und wir können bei rezidivierenden Schmerzen nach mehrwöchiger Tragedauer einer Schiene leichter entscheiden, ob die vorhandene Schiene adaptiert werden kann (<0,2 mm) oder neu angefertigt werden muss (>0,2 mm).Außerdem ist bewertbar, ob vor umfangreichen prothetischen Versorgungen in habitueller Position ein erhöhtes Risiko besteht Probleme aus dem Umfeld der Cranio-mandibulären-Dysfunktion (CMD) zu entwickeln.
Eine Okklusionskontrolle nach kieferorthopädischer Behandlung wäre wünschenswert.
Das die Okklusometrie auch im zahntechnischen Labor bei der Neuanfertigung von Zahnersatz eingesetzt wird habe ich eingangs erwähnt.
Fazit:
In meiner Praxis stellt die Okklusometrie (neben der oberflächlichen Elektromyographie der Kaumuskulatur und der computergestützten Kondylographie) eine weiteres, für den Patienten vollkommen schmerzfreies und nicht invasives Diagnostikverfahren dar. Die 3 mir zur Verfügung stehenden Methoden können- je nach Fragestellung – einzeln oder kombiniert angewandt werden .
Die elektonische Kondylographie hat dabei ihren Schwerpunkt bei der Diagnose und Therapie von Arthropathien (Gelenkserkrankungen), während die Okklusometrie und die Elektromyographie bevorzugt beim Screening vor Prothetik, bei der Diagnose von Myopathien (Muskelschmerzen) und als Kontrolle von Schienentherapien und definitiven prothetischen Versorgungen zum Einsatz kommen.
Okklusometrie – Vergleich: Biologie und Artikulator. (Foto: G. Christiansen)
Okklusometrie – im Artikulator messbare Höhenunterschiede zwischen einzelnen Zahnbogenkompartimenten